Das Kulturmagazin DER MICHEL ZEITZ schrieb 2001 zum 15 jährigen Jubiläum :
15 Jahre Disco "VERITAS"
Thomas Vogel und Klaus Schumann erinnern sich und feiern
Eine ganz schöne Strecke, diese 15 Jahre, in denen Thomas Vogel und Klaus Schumann mit ihrer mobilen Diskothek "VERITAS" durch die musikalische Gegend gezogen sind und offensichtlich mit Spaß Woche für Woche, zu Zeiten Tag für Tag, ihrem Publikum gaben, was es suchte: Unterhaltung und Partystimmung der Spitzenklasse. Denn "Spitze" waren sie schon von Anfang an, nämlich als sie am 12.4.1986 im Zeitzer "Jugendschuppen" erstmals zu einer Einstufung für die Auftrittserlaubnis als "SPU" (in DDR-Deutsch: "Schallplattenunterhalter") lässig, aber mit Lampenfieber antraten. Auf Anhieb gewannen sie die Oberstufe C, darunter gab es noch die Stufen A und B. Die damaligen Veteranen unter den Konkurrenten knallten mit den Türen... Spätestens nach zwei Jahren mussten alle Gruppen neu antreten, das war Vorschrift. Fast alle blieben auf ihrer "Stufe" sitzen, das Honorar blieb dasselbe, und nun diese Neuen, die vorbeizogen!
Aber das hatte seinen Grund, denn bereits die Hürden, die davor standen, hatten Vogel/Schumann mit Fleiß bewältigt. In einem Lehrgang (Musikgeschichte, Stilrichtungen, Sprecherziehung u.ä.) musste man sich erst auf eine Aufnahmeprüfung vor einer Kommission der KGD (Konzert- und Gastspieldirektion) vorbereiten, um überhaupt zur Einstufung zugelassen zu werden. An das Programm wurden hohe Anforderungen gestellt. Es durften nicht einfach "Platten aufgelegt" werden, sondern der SPU (s. o.) sollte eine "gestaltete Diskothek" vorführen, musste also eine Programmidee haben und auch passende Texte frei vortragen.
"Ein musikalisches Jahr" hieß das erste Programm von Th. Vogel und K. Schumann und schlug voll ein. Was die beiden aber sehr wunderte, denn sie hatten mit frechem Witz eine lästige Bestimmung, die jeder kannte, unterlaufen, die 60/40-Bestimmung! Das hieß, 60 % Osttitel mussten und nur 40 % Westtitel durften in einer Veranstaltung gespielt werden. Die bürokratische Festlegung, dass ein Titel nach den ersten drei Takten als gespielt galt, war sicher gegen die "ideologische Gefahr" der Westtitel gerichtet. Was machen unsere beiden Experten? Sie spielen ein Medley aus DDR-Titeln, jeder natürlich nur wenige Takte lang, so dass man gerade die lästige Melodie erkennen konnte, sprechen darüber unheimlich viel Text, machten Witze. "Die Ost-Titel haben wir einfach überquatscht", so Thomas Vogel. So erfüllten sie schnell ihr Ost-Soll und hatten dann viel Zeit, um in aller Ruhe die "West-Musik" zu spielen, natürlich in voller Länge. Und das ganz legal! Eine dezente Ermahnung gab es natürlich, aber das Programm muss so gut gewesen sein, dass die Genossen über diesen Punkt hinwegsahen.
Ein Jahr später war es schon kritischer. Das Programm hieß diesmal "Eine Reise um die Welt". In einer sieben Meter (!) langen Flugzeugattrappe saß einer von beiden als Pilot, und der andere fungierte als Flugleiter. So weit, so gut, aber laut Programm flog das Flugzeug von "Zeitz-Aue-Airport" nach Hamburg, von dort in andere Länder, immer als Anlass, um Musik dieser Länder zu spielen. "Die Stimmung wurde plötzlich brisant. Das hatten wir völlig unterschätzt", sagen die beiden, "das war ja 1987, die Leute haben natürlich reagiert!" Auch "die Verantwortlichen" Vom "Flug zum Klassenfeind" war da die Rede und davon, dass z. B. im Titel "Electrica Salza" der Gruppe "Off" kein deutscher Text vorkomme. Heute noch lachen sie darüber: "Es gab in dem Song eine einzige deutsche Zeile, da sagt ein Musiker nebenbei ‚Kannst du die Trompeten mal einschalten'. Diesen Satz haben wir denen vorgespielt und sie offensichtlich verblüfft. Das hat uns gerettet. Es war ihnen peinlich, dass sie mal Unrecht hatten."
Und so kämpften sich Thomas Vogel und Klaus Schumann mit Humor und Geschick durch die Jahre, immer mit dem Ziel, ihren Leuten ein paar Stunden Ausstieg und Erholung zu geben, mal durchzuatmen, die Gefühle auszuleben und den Kopf wieder frei zu machen für die Bewältigung der doch oft miesen Realität.
"Lust machen auf Leben, für andere und für sich selbst", das scheint das Motiv für die Männer zu sein, wenn man erlebt, wie sie ihre Geschichten erzählen. "Ab 1988 traten wir in allen Einrichtungen auf, die es auf der Strecke gab. Das ging oft so: Dienstag ‚Sophienhöhe', Mittwoch ‚Jugendklub Droysig', Donnerstag ‚Kreml', ‚Klub 76' oder ‚Willy', Wochenende z. B. Ferienheim Zeulenroda, wo wir die gesamte Palette einschließlich Kinderprogramm, Nachtbar und Frühschoppen durchmachten. (In der Nachtbar wurden die Leute aussortiert und wir vergattert, für die dortige Stasi zu spielen.) Außerdem hatten wir Auftritte in Gera und Weißenfels. In diesem Jahr hatten wir mehr Auftritte als das Jahr Tage hat. Oft waren wir halb vier zu Hause und mussten um sechs zur Arbeit! " Einmal schlief Th. Vogel vor der geschlossenen Schranke am Bahnübergang in Theißen ein. Die Autos fuhren dann um ihn herum, erst eine alte Frau weckte ihn mit ihrem Stock... Es gab auch andere Höhepunkte, z. B. Auftritte mit "Zauberpeter", bei Helmut Poeschels Erotikfilmen, mit den "Puhdy's", mit "City". Auch eine "Konfrontation mit der Staatsmacht" fehlte nicht. Zum "Treffen der Jungbrigadiere" in Zeitz waren 14 Minister angereist. (Zeitz war der Wahlkreis von Erich Mielke.) "VERITAS" sollte im VEB Kraftverkehr unterhalten, sie hatten keine Lust, sie hatten anders vor. "Ihr spielt entweder dort, oder nirgendwo mehr!" So hieß es.
Sie spielen heute noch. Immer noch als "VERITAS", der Name als Lizenz des damaligen VEB Nähmaschinen Wittenberg. Vielleicht wäre Lutz Ulrich heute auch noch dabei, wenn er vor 15 Jahren bei der Gründung nicht "staatlich zwangsverhindert" gewesen wäre. Seit Mai 1989 gibt's "VERITAS" sozusagen im Doppelpack, in Zeitz und in Cottbus. Dorthin zog Klaus Schumann, weil er Vertriebsleiter Nord bei der "envia" - Energie Sachsen Brandenburg AG wurde. Er ist beim "FC Energie Cottbus" Hauptauftragnehmer aller kulturellen Veranstaltungen und gestaltet die Parties im VIP-Bereich. Vieles machen sie immer noch zusammen, so in Droysig und Jessen, viele Kinderfeste. Sie hatten z. B. die NDW-Party in Elsterwerda, die in Zeulenroda mit Peter Schilling bei UKW Marcus, waren im Hyzet-Klubhaus als Vor- und Nachband bei "alphaville" während der Tourné durch den Osten, feierten in Bernburg als Vordisco "30 Jahre Puhdy's" usw.
Vor zwei Jahren erlebten Th. Vogel und Klaus Schumann eine Riesenparty, als sich alle ehemaligen Jugendklubs trafen. Jetzt, am 13. Oktober 2001, laden sie ein zum 15jährigen Jubiläum von "VERITAS". Der Hochzeitsball von Jana Hirsch im Autohaus Hoevel ist bestimmt genau die richtige Fete zu diesem Anlass. Nicht nur die "VERITAS"-Leute werden da sein, sondern auch ihr alter Trabbi, die alte Technik, Dokumente und viele Videos aus den alten Zeiten. Alle sind herzlich eingeladen! - Und "Der Michel" gratuliert jetzt schon!
Jürgen Kautz